Menasche
Amir bei "Kol Israel"
Beim gefährlichsten „Feind“ des Iran
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 22. Juni 2009
„Tod den Israelis“ brüllten die Männer in
der Teheraner Universität, als der geistige Führer des Iran, Ajatollah Ali
Chamenei den Westen beschuldigte, die Unruhen im Iran zu schüren. Besonders
hob er die BBC, die Voice of America und das „israelisch-zionistische Radio“
hervor.

In der engen Königin Helena Straße steht ein
heruntergekommener Palast der Mutter des letzten äthiopischen Kaisers Haile
Selassie. Während des britischen Mandats sendete von dort die „Stimme
Jerusalems“, bis die jüdische Terrorgruppe Etzel am 2. August 1939 dort eine
Bombe setzte. In dem völlig verbauten Gebäude in einem Wirrwarr von Baracken
und Anbauten, während Kabel und Stromleitungen wie Girlanden zwischen den
alten Bäumen hängen, hat sich später „Kol Israel“, der israelische Rundfunk,
bei den äthiopischen Eigentümern eingemietet.

Die Regie des Studio 9 gleicht einer
Rumpelkammer mit vorsintflutlichen Tonbandgeräten und einem 17-Zoll
Computer-Röhrenbildschirm. Hinter der Glasscheibe sitzt am Mikrofon Menasche
Amir, 69. Seine Stimme ist in ganz Iran bekannt und in Israel als Iranexperte.

Geschätzte zwei bis sechs Millionen Iraner
hören regelmäßig die persischen Sendungen von Kol Israel. „Ajatollah Khomeini
war ein begeisterter Hörer, erzählte mal seine Frau. Ein iranischer
Premierminister gestand, uns jeden Tag anzuhören, weil er von uns die
glaubwürdigsten Informationen erhalte. Unter Premierminister Itzhak Schamir
streikten zwei Monate lang Israels Radio und Fernsehen. Im Iran ging der Witz
um, dass Khomeini in einer geheimen Botschaft Schamir angeboten habe, die
Gehälter der Mitarbeiter von Kol Israel zu bezahlen, weil Khomeini wieder
erfahren wollte, was in seinem Land passiert.“

Amir hat ab 17 drei Jahre lang bei der
Teheraner Zeitung Kehan gearbeitet und wanderte nach Israel ausgewandert. Seit
1959 arbeitet er in der „persischen Abteilung“ der „Stimme Israels“. Obgleich
seit vier Jahren pensioniert, ist er weiter auf Sendung, „weil ich meine Hörer
so liebe“. Zu Chamenei, der vor den Sendungen aus Jerusalem warnte, sagt Amir:
„Ich bin überzeugt, dass auch er ein treuer Hörer ist.“
Während
BBC sechs Stunden persische Fernsehsendungen täglich nach Iran ausstrahlt,
sendet „Kol Israel“ fünf Mal wöchentlich 85 Minuten Nachrichten ab 18:30 Uhr
(iranische Zeit). Freitags und am Samstag sind es jeweils eine Stunde. Die
Sendungen können über den Satelliten Hotbird auf 2 Kanälen gehört werden, auf
zwei Internetseiten und per Kurzwelle. „Das Regime will den Iran von der
Außenwelt abschneiden“, sagt Amir. Die BBC habe auf Arabsat ausweichen müssen,
da sogar der Satellitenempfang gestört werde. Doch die Iraner seien sehr
geschickt und fänden immer Auswege. Das sehe er anhand der IP-Adressen der
Besucher der beiden persischen Internetseiten des israelischen
Außenministeriums, die er betreue. Dann gebe es viele Anrufe aus Iran, doch an
zwei Tagen in der vergangenen Woche sei das Telefonnetz komplett gesperrt
gewesen. Die Hörer melden sich bei Telefonnummern in Deutschland und würden
nach Jerusalem weitergeleitet, wo sie dann auf Sendung ihre Gefühle oder
Augenzeugenberichte zu den Vorgängen abliefern, ohne Namen oder Wohnort zu
nennen. „Wir wollen die Menschen nicht gefährden, haben aber noch nie gehört,
dass jemand verhaftet worden wäre, weil er bei uns auf Sendung ging.“

Amir liefere mit seinem hochmotivierten Team
ehemaliger Iraner die zuverlässigsten Informationen „von Käsepreisen bis hin
zu Arbeitslosigkeit und Debatten im Parlament“. Er wollte nicht verraten, wie
er brisante Mitschnitte erhält. Eine Abgeordnete habe mal in Teheran die
Regierung kritisiert. Der Parlamentsvorsitzende rief ihr zu: „Hören Sie auf,
der israelische Rundfunk wird das noch senden.“ Amir sendete den O-Ton am
gleichen Tag.
Schon drei
Monate vor den Wahlen im Iran berichtete Amir über die Vorbereitungen zum
umfassenden Wahlbetrug. Obgleich Mussawi populärer war, wusste er, dass
Ahmadinidschad wieder „ernannt“ werden würde. Der sei auch vor vier Jahren
durch Wahlbetrug an die Macht gelangt, um die Reformen seines Vorgängers
Chatemi wieder rückgängig zu machen. Jetzt habe Ahmadinidschad die Mission,
den letzten Schritt bis zur Atombombe zu vollenden, „weil er der Einzige ist,
der dem internationalen Druck widerstehen kann“, so Amir.
Amir wagt keine Prognose, behauptet
gleichwohl, dass Chamenei einen „schweren Fehler“ begangen habe, indem er sich
mit Ahmadinidschad und dem gefälschten Wahlergebnis identifiziert habe. So
bleibe den Iranern keine Alternative, sich gegen das ganze Ajatollah-Regime zu
erheben. Zu den Kontrahenten Ahmadinidschad und Mussawi sagt Amir, dass es bei
ihnen außenpolitisch keinen Unterschied gebe. Doch innenpolitisch, bei den
Bereichen Wirtschaft, Frauen, Freiheit und Demokratie, gibt Amir Mussawi den
Vorzug.
Amir behauptet, keinerlei Verbindungen zum
Mossad zu haben. Er war vor einigen Tagen „schockiert“ über Behauptungen des
Mossad-Chefs Meir Dagan, wonach die Wahlen im Iran „sauber und demokratisch“
verlaufen seien. „Wenn das die Meinung des Mossad ist, muss ich mir
ernsthafte Sorgen machen, wie informiert die eigentlich über Iran sind.“


ÓUlrich
W. Sahm
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